Ausstellung 13,3 (Temporäre Horizonte II) – Bert Haffke / Ralph Kull
Bert Haffke und Ralph Kull kennen sich seit der Studienzeit und arbeiten seitdem immer wieder zusammen. Das was der eine macht, beeinflusst den anderen, auch wenn die Ergebnisse oft wie aus verschiedenen Welten sind. Beide arbeiten an der Wahrnehmung visueller Eindrücke, an der Betrachtung selbst. Es gibt zahlreiche Arbeiten mit gemeinsamer Autorenschaft – doch auch bei vielen Einzelarbeiten werden gegenseitige Einflüsse deutlich.
Wie bewältigen wir diesen Raum und fassen ihn neu? Und belassen ihn gleichzeitig in seiner Vielschichtigkeit? Nur gemeinsam!
Auf eine Idee kommen, das verwerfen, neue Ideen entwickeln.
Etwas machen, was mit der eigenen Befindlichkeit, mit der Grundstimmung zur Kunst zu tun hat. Die beiden treffen sich inhaltlich immer. Beide denken über das Thema Rahmen und das Tafelbild nach. Was ist innen, was ist außen? Wo gibt es Transparenz? Diffusion? Ein Zitat der Künstler: man versucht etwas darzustellen, was das Eigentliche meint.
Die herkömmliche Nutzung, den Zustand aufgreifen und dem Raum eine neue Qualität, einen neuen Charakter zumessen.
Der Raum wird umgestaltet durch den Einbau eines wandähnlichen Raumteilers, an den das Tafelbild von Ralph Kull angelehnt ist. Diese Lösung – ein Kulissenbau – haben beide an einem Tag am Steinhuder Meer entwickelt.
Sie haben den Raum so angenommen wie er ist. Sie beschränken sich auf den ersten Teil der Galerie, haben hinten alles so gelassen, dies gewissermaßen verborgen. Die Wand ist nicht geschlossen, aber man kann nicht durchgehen.
Aber der Raum ist sichtbar, wir können in diesen anderen hinteren Raum blicken. Die Spiegelfolie war – wie auch die Beleuchtung oben – schon da und wurde belassen. Man kann sich nicht nur hier innen spiegeln, sondern auch draußen. Die Durchreiche korrespondiert in gewisser Weise mit der Stellwand-Installation. Wie im Kleinen, so im Großen und im ganz Großen. Einen Raum öffnen, schließen, erweitern, verkleinern.
Hinter Dir, gleichzeitig vor Dir.
Anschaulich figürlich, gleichzeitig ganz unbestimmt, ganz abstrakt.
Durch ihre Kunst können die Künstler die Welt nicht besser und unproblematischer machen als sie ist. Aber wir können unser Umfeld beherrschbar machen und mehr machen als wir vielleicht glauben zur Lösung der Probleme der Welt – dies vielleicht als Hinweis, als Wink gemeint. Ich verstehe die Arbeit der beiden Künstler auch als subtil politisch agierend. Die Kunst hat das Leben der Künstler geprägt. Das Dahinter soll wahrnehmbar bleiben. In der Gesamtarbeit soll der ganze Raum erfahrbar sein, nicht nur das was hier vorne ist. Somit spielt sich diese Ausstellung nicht ausschließlich hier in diesen 13,3 Quadratmetern ab, vielleicht meinen die beiden eigentlich doch das Ganze. Damit wäre der andere Raum, der nicht verändert wurde und auch für soziokulturelle Zwecke während der Ausstellung genutzt werden wird, Teil der Ausstellung.
Ralph Kull geht es um Entgrenzung. Meist ist ein Tafelbild Bestandteil seiner installativen Arbeiten. Er befreit es vom Dasein als Viereck an der Wand. 1993 zeigte er im Kunstverein Hannover eine fast 7 Meter lange Absperrung aus Stahlrohr. Das Tafelbild, welches dahinter hängen könnte: abwesend. Kull fasziniert die Fragmentierung – die Welt zerlegen und in Bruchstücken wieder zusammensetzen. Eine Assoziation ruft die andere hervor. Seit der deutschen Romantik zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist dies Bestandteil des Kunstschaffens, als sich ein wachsendes Interesse an der Natur, an Emotionen und an der menschlichen Psyche entwickelte.
Zu den Arbeiten (v. r. n. l.):
(hier sind Engel hinter), 2023, Acryl auf Leinwand, 220 x 150 cm, angelehnt an eine Stellwand.
Wo könnten die Engel sein? Vielleicht solche, wie Rubens sie gemalt hat? Auf der Rückseite? Im anderen Raum? Imaginiert? Transzendiert in einen Raum jenseits vorfindbarer Wirklichkeit?
Die Leinwand kann gelüftet, aber nicht umgedreht werden. Sie wurde fragmentarisch auf der Vorderseite mit einigen Engeln bemalt, auf der jetzt sichtbaren Rückseite mit „hier sind Engel hinter“ beschriftet.
Es gibt Engel zu finden, und damit werden sie tatsächlich. Schließlich braucht Maria sie, um in den Himmel gehoben zu werden.
Was auffällt: die Engel haben gar keine Flügelchen. Als Geistwesen brauchen sie ja auch keine.
Die Engel-Arbeit soll den Raum transzendieren.
Die Zeichnungen von Ralph Kull transzendieren seine Ideen. Sie wurden zusammen – also von beiden Künstlern – ausgesucht
Sie sind auch fragmentiert. Die Welt zerfällt in Bruchstücke. Eine Konfrontation von Linearität und Flächigkeit.
Sie sind Mischtechniken, z. B. Bleistift, Buntstift, Acrylstift, Aquarell, Tinte, Inkjet auf Papier – dies wird immer in der Signatur genau aufgelistet, auch der Zeitpunkt der verschiedenen Arbeitsschritte. Nie Variationen.
16|07|23 (Hof Dambach): eine Zeichnung direkt vor der Natur liegt zugrunde, nach Abschluss der Zeichnung machte Ralph ein Foto von derselben Situation und druckte später einen Foto-Streifen aus dem Foto auf die Zeichnung, oftmals macht er das auch passend ausgerichtet, das sieht man hier beim Verlauf der Baumspitzen ganz schön. Es wird also eine weitere Interpretation auf die Zeichnung gebracht, der Drucker wird dabei als Werkzeug eingesetzt. Der Drucker reagiert auf den Untergrund, Partien verlaufen, keine Stringenz, mal mehr und mal weniger abbildhaft.
25|05|21: diese Zeichnung ist am Schreibtisch entstanden: die Gegenständlichkeit kannte Ralph Kull vorher nicht, bevor er sie gezeichnet hat. Eine 6 formuliert ein Auge, eine Sprechblase ist zu erkennen, mit unkenntlichen Schriftzeichen.
05|04|23: die Zeichnung bezieht sich auf ein Werbeplakat zum Film Opfer von Andrei Tarkowski: ein Baum erwacht wieder zum Leben, das ist eine sehr persönliche Arbeit mit biografischen Aspekten.
Matina Lohmüller
GALERIE am schwarzen meer, Bremen
Einführung in die Ausstellung, 11.08.233