Ralph Kull ist ein Künstler, der nach den Bedingungen fragt, unter denen ein Gegenstand zum Kunstwerk wird. Es geht ihm um den Prozess der Bildwerdung und seinen Konventionen.
„Ich weiß nicht, was Kunst ist, aber ich weiß um die Art, wie sie zur Darstellung gelangt“, sagt Ralph Kull.
So postuliert der Künstler die Distanz zu seiner eigenen Tätigkeit. Folgerichtig vermeidet er die Entwicklung eines persönlichen Labels und nähert sich seinen Fragestellungen mit den unterschiedlichsten Mitteln. „Ich möchte mich auf keine Position einrichten“ heißt es bei ihm, „sondern meinen Platz immer wieder neu bestimmen, einen Platz, der nur temporär sein kann.“
Ein besonders anschauliches Beispiel für Kull´s Denken in Zusammenhängen, sein Befragen und Hinterfragen von Wirklichkeiten und deren sinnlicher Wahrnehmung ist die hier gezeigte Bild / Bildobjektreihe, die sich mit der ältesten Darstellung der Kunst „dem Bild auf der Wand“, auseinandersetzt.
Die Wahrnehmung eines gerahmten Bildes auf einer Fläche entspricht einer festgelegten kulturellen Erfahrung, von der sich die Künstler der Moderne in dieser Form lossagten, den Rahmen sprengten und die Fläche verließen. Kull fühlt sich dagegen von der „Normalität“ der Konvention herausgefordert und gewinnt ihr unspektakuläre, aber gerade deshalb um so überzeugendere Aspekte ab. Immer wieder geht es ihm um die Irritation von Erwartungshaltungen: Der Bilderrahmen „adelte“ in früheren Zeiten eine Malerei zum Kunstwerk. Einer der hier gezeigten Rahmen aus dem vorigen Jahrhundert enthält kein Bildmotiv, sondern nimmt die Wandstruktur des Galerieraums auf – der Betrachter wird auf den Ort verwiesen, an dem Kunst zur Kunst wird. Bei dem Bildobjekt aus massivem Kirschholz sind Rahmen und Bild durch die natürliche Maserung des Holzes an der Oberfläche vereint. Der Rahmen wird zum Bild und das Bild zum Rahmen. Das gleiche Vorgehen in völlig anderer Form wählt der Künstler bei der eher konventionell aufgefassten Aktdarstellung: Der Rahmen ist, wie erwartet, vorhanden, doch ist er Teil der Malerei, wird in der Realität verweigert.
Das Spiel mit Bedeutungsebenen gelingt Kull vor allem in Objekt- und Bilderreihen, in denen jedes Teil, so eigenständig und unabhängig es auf den ersten Blick erscheint, doch erst im Kontext seinen tieferen Sinn erkennen lässt. Die „Wahrheitseinkreisung“ des Künstlers dient einer Selbstbestimmung, die nicht nur um das Ego kreist, sondern einer großen Verantwortung gegenüber dem Kunst-machen in der heutigen Situation entspricht.
Prof. Dr. Hans-Joachim Manske
ehemaliger Direktor der Städtischen Galerie im Buntentor, Bremen
zur Ausstellung im Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland, New York, Dez. 1995